82019Jun

Tod und Trauer – Wie gehe ich mit Verlust um?

Verlust einer nahstehenden Person

Nichts wird mehr verdrängt, totgeschwiegen und tabuisiert als die Tatsache dass wir sterben werden. Das passt uns nicht. Wir wollen es nicht wahrhaben und wir haben die Hoffnung noch nicht – ja erst viiiiieel später sterben zu müssen. Wir sind viel zu beschäftigt mit Spaß, mit dem tollen Job oder Karriere, mit dem nächsten Trend, Mode, Auto, Handy, mit den nächsten Filmserien, Hausbau oder Flachbildmegafernseher als mit unserer eigenen Existenz, Herkunft und Tod. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Der Tod wird kommen.

Wie möchtest du sterben? Wahrscheinlich war deine Antwort nach den ersten Irritationen und Empörung über diese unmögliche Frage:

„Friedlich, schnell, im eigenen Bett und umgeben von meinen Lieben.“

Vorab: Geburt, Leben und Tod ergänzen sich in einem Kreis und obwohl wir jeden Tag leben (sollten), sterben wir nur einmal.

In dem wir uns bewusst mit dem Tod – mit unserem Tod auseinander setzen, erfahren wir, wie wichtig es ist jetzt zu leben; sich nicht nur über die Zukunft zu sorgen, sich zu ängstigen, lernen unsere Mitmenschen wertzuschätzen, zu lieben, zu verzeihen, gnädig zu uns und anderen zu sein und über unsere Unzulänglichkeiten zu schmunzeln. Wir sind uns weniger unterschiedlich als wir uns vorstellen: denn wir wollen alle nur verstanden, akzeptiert und geliebt werden. Die Tiefe Einsamkeit und (Selbst-)Zweifel die, jeden Menschen plagen, wollen wir alle ein bisschen öfter entfliehen. Ja ich denke jeder Mensch über 20 Jahren sollte mal ganz bewusst einen Sterbenden miterleben oder mitbetreuen – zumindest miterleben und sich Fragen über das Leben und den eigenen Tod stellen. Da reicht es nicht mal auf einer Beerdigung gewesen zu sein.

Niemand kann den Schmerz eines anderen verstehen. Niemand kann deinen Verlust begreifen. Es ist eine Illusion diesen Eindruck vermitteln zu wollen.
Aber wir können den Trauernden Gehör schenken, ihnen Zeit und Geduld schenken und versuchen, für sie da zu sein.
Diese Erkenntnisse scheinen ganz banal zu sein, jedoch vergessen wir sie stets: Verlust, Schmerz, Trauer werden individuell verarbeitet.

Trauer ist so einsam und persönlich. Einige Menschen können den Schmerz nicht ertragen, andere empfinden Traurigkeit, Angst, Wut, Schuldgefühle, Sprachlosigkeit, Hilflosigkeit oder gar einfach gar nichts. Egal welches Gefühl du in deinem Fall empfindest, es ist normal! Versuch deine Gefühle, egal welcher Art, zuzulassen. Es ist wichtig zu versuchen, diese Gefühle nicht gegen sich selbst zu wenden, sondern einfach zuzulassen, sie zu empfinden. Schuldgefühle die oft unbegründet sind, pfropfen sich manchmal auf. Diese zur Kenntnis nehmen und als solche zu bewerten, ist sehr wichtig. Wenn du das Glück hast gute Freunde, Familie und wohlwollende Menschen um dich zu haben – Menschen, die nicht drängen aber gerne zuhören und für dich da sind, wenn du sie brauchst, ist das besonders hilfreich.
Denn der Verlust eines Lieben kann durch Liebe und Verständnis der anderen und durch Zeit verträglich gemacht oder gar geheilt werden – und obschon du deinen Lieben wahrscheinlich nie vergessen wirst, werden deine Gedanken und Schmerz und Trauer mit der Zeit weniger werden.
Jedoch muss jeder für sich herausfinden mit diesen Gefühlen insbesondere den Schmerzen umzugehen.

Obwohl das nichts Neues ist, obwohl man nicht in die Schule dafür gehen musste, habe ich erst nach 14 Jahren Berufsleben und mehr als 20 Jahren im medizinischen Bereich diese Erkenntnisse am eigenen Leib erfahren müssen…

Nichts, niemand ist so wichtig für mich wie meine Mutter. Ihr plötzliches, unerwartetes Ableben hat mir vor Augen geführt, was Schmerz, was Verlust, was Trauer, was Unglück wirklich ist.
Meine Mutter ist meine Lehrerin, meine Mutter ist meine Freundin, meine Mutter ist meine Vertraute, meine Mutter ist mein Ventil, meine Mutter gibt mir Halt, meine Mutter ist mein Sparringspartner – und obwohl wir sicherlich sehr häufig nicht der gleichen Meinung waren, war ich mir stets sicher dass ihre Überlegungen, in meinem Interesse waren. Ich konnte stets zu meiner Mama laufen, ich konnte stets ihre unverhohlene Einschätzung oder Kritik oder Lob, ihren Anspruch oder Einspruch holen, und ich war mir immer sicher, insgeheim war das stets zu meinem Besten. Bei meiner Mutter hatte ich Geborgenheit gefunden. In meiner Mutter habe ich Liebe gefunden. In meiner Mutter habe ich Zuversicht gefunden. In meiner Mutter habe ich Durchhaltevermögen gefunden, in meiner Mutter habe ich die Welt gesehen und durch sie die unbegrenzten Möglichkeiten im Leben gesehen und die Bedeutung vom Leben erkannt. Meine Mutter ist das, was ich brauche. Ihr Tod war für mich undenkbar und doch anscheinend der „natürliche Lauf“ des Lebens, etwas das feststeht von Anbeginn des Lebens auf der Erde.
Fünf Monate nach ihrem Tod, kommt ein Gedanke in meinen Kopf, und ich möchte sofort mit ihr darüber diskutieren.

Nicht selten erwische ich mich, dass ich darüber nachdenke, was sie in einer bestimmten Situation machen würde, nicht selten möchte ich dann zum Telefon springen und ihr mitteilen was Gutes, was Lustiges, was Schreckliches oder was Unerwartetes gerade in meinem Leben passiert ist. Langsam dämmert es mir dass ich ihr weiterhin erzählen kann, dass ich sie sogar zufrieden machen kann, dass ich ihr vielleicht Lächeln schenken oder zumindest versuchen kann, ihr ein Lächeln zu verpassen, wenn ich weiterhin mit ihr gedanklich kommuniziere und austausche als wäre sie hier mit mir!

Ich bin ein stolzes Muttersöhnchen und ich würde mich freuen, mich weiter zu entwickeln jedoch weiterhin ein Muttersöhnchen zu sein.

Wenn man Verlust erleidet, oder trauert, ist die Reaktion von Freunden, Bekannten, wohlwollenden Menschen die zum Teil gar nicht wissen, wie sie mit einem oder mit der Trauer umzugehen haben – dem Trauernden ihre eigene Vorstellung von Trauerwahrnehmung und Trauerbewältigung anzubieten und um das Wort erzwingen zu vermeiden – mit sanften Druck vielleicht – zu vermitteln, was man zu tun hat als Trauernde – dann ist dies in den meisten Fällen keine wahre Linderung oder Hilfe.

Was man zu tut hat als Trauernder, kann einem niemand raten oder gar vorschreiben. Man kann niemanden sagen wann es gut ist mit dem Trauern, man kann es niemanden sagen wie zu trauern ist.

Ich habe keine Ahnung wie es einer Mutter wirklich in ihrem inneren geht, wenn sie eine Fehlgeburt erlitten hat. Ich habe keine Vorstellung was ein Vater empfindet, der gerade ein Baby verloren hat. Ich kann es mir wirklich nicht vorstellen, wie es einem anderen geht, der seine Mutter, seinen Vater oder ein Geschwister beziehungsweise gar einen Partner verloren hat.

Es gibt Theorien und Abhandlungen über die Phasen des Trauerns. Diese Theorien und Abhandlungen haben teilweise eine Erwartung wie der Trauernde zu trauern hat, welche Phasen und gar in welcher Reihenfolge dies durchlaufen werden sollte.
Auch wenn diese Theorien ein bisschen Verständnis für den Verlust des anderen und was der möglicherweise durchmacht, nachvollziehbarer machen können, bin ich der Meinung, dass es falsch wäre, diese Vorstellung als in Stein gemeißelt anzusehen. Denn überhaupt eine Vorgabe, oder gar eine Erwartung an den Trauernden zu stellen, könnte selbst zum Druckmittel werden, meist unterbewusst und Depression, bis dahin, dass wir von Selbstzweifel zerrissen werden, weil man den von „Fachleuten„ beschriebenen Erscheinungsformen und Vorgaben nicht gerecht werden kann. Diese Verzweiflung führt bei dem Trauernden dahin, dass er sich fragt, ob er nicht alles richtig machen kann mit seinem Trauern, so wie es in den Büchern steht.
Die klassischen Phasen sind entwickelt worden von Frau Dr. Kübler Ross und werden bei Verluste, Krankheiten, den Trauernden als Modell eingesetzt. Diese Phasen sind:

– Verdrängung
– Wut
– Verhandlung
– Verzweiflung
-Akzeptanz

Ohne auf diese Phasen einzugehen, werde ich pauschal sagen dass bei vielen Trauernden, einige Phasen komplett ausbleiben, parallel auftreten, und sie können gar in einer anderen Reihenfolge auftreten.
Wie lange soll man trauern? Wann ist es gut mit Traurigkeit? Wann sollte man alles sein lassen und weitermachen?…ähm…es geht keinen etwas an!
Ich denke das ist eine sehr persönliche Frage und kann nicht pauschal durch Abhandlungen und Theorien beantwortet werden.

In meinen mehr als 20 Jahren im medizinischen Bereich – als Student, als Pflegepersonal, als Arzt und so weiter habe ich unterschiedliche Patienten gesehen und betreut: Ich habe der 80-jährigen zugehört, die über ihre Fehlgeburt vor 50 oder 60 Jahren traurig trauernd geredet hat, und wohlwollende Vorstellung für dieses ungeborenen Kind hegte.
Ich habe einem Mann zugehört, der über sein im Krieg gefallenes Kind oder seinen Bruder mit einer Leidenschaft und Zuneigung erzählte, als wäre all das gerade gestern gewesen.
Ich habe mich mit einer Witwe unterhalten, die im Beisein ihres Ehemannes – mit dem sie 40 Jahre verheiratet ist, über ihren im Krieg gefallenen ersten Ehemann oder Verlobten redet und mit Liebe und wohlwollenden Worten und leuchtenden Augen von der Geschichte erzählt. Und der aktuelle Ehemann sitzt hilfsbereit, unterstützend, wohlwissend, dass seine Frau genug Liebe für zwei hat und dass der gefallene Ex Ehemann oder Ex Verlobter keine Konkurrenz ist.
Einige dieser Menschen können fast in dem gleichen Atemzug über ihre anderen Kinder, ihre Lebensabenteuer, ihre Errungenschaften, ihrer Freude, ihre Interessen, ihr Leben erzählen….andere Trauernde wiederrum bleiben leider in der Vergangenheit stehen – in ihren Schmerzen, in ihrem Verlust und sehen kein Licht mehr. Sie erstarren und entwickeln sich nicht mehr weiter.

Es ist wichtig sich einzuverleiben das auch wenn der Verlust so groß ist, die Zukunft so düster zu sein scheint, der Verstorbene den man liebt und für den man trauert, der wird es wollen dass es einem gut geht. Der Verstorbene selbst würde es wollen, dass man ein gutes Leben führt – für sich, dass man Sinn im eigenen Leben findet und glücklich wird trotz des Verlustes.

Die Erkenntnis, dass vieles unwichtig ist, dass sogar wir selbst unwichtig sind, kommt häufig nach großen Verlusten oder Krankheiten vor. Dass es uns aber im Gegenteil mehr nutzt und dem Verstorbenen mehr ehrt, wenn wir uns um uns kümmern und ein lebenswertes eigenes Leben weiterführen – ist die wichtigste Erkenntnis.

Unter der Erde werden die Würmer keinen Unterschied zwischen den Menschen machen. Es ist den Würmern egal, ob du Mann, Frau, Kind, Erwachsene bist. Den Würmern ist es egal, Ob du hübsch oder hässlich warst, klein oder groß warst, Engländer, Deutsch oder Angolaner warst, ob du zugezogen bist oder in der dritten Generation an Ort und Stelle wohnst – ohne Diskriminierung wirst du jetzt von den Würmern in die Erde und unter der Erde verarbeitet. Nimm bitte 30 Sekunden Zeit um an diese Gedanken festzuhalten.

Wenn ich Leichenschau durchführe – ob in einem Heim oder in einer Privatwohnung – kann ich mir nicht helfen erst die Bilder an den Wänden oder auf den Tischen anzuschauen und die Person anzugucken die leblos, hilflos und meistens kalt da liegt und ich stelle mir immer wieder diese drei oder vier Fragen:

1. Was ist ein erfülltes Leben?
2. Wo kommen wir wirklich her? – wissend dass wir mal ein Punkt auf einem Ultraschallbild waren
3. Wo gehen wir hin – wohl wissend dass der leblose Körper gebrochen ist und bereits angefangen hat zu verfaulen.

All dies führt zu der Frage; ist unser Körper, unser Aussehen, unsere Hautfarbe, unsere geographische Herkunft auf diesem Planet so wichtig wie wir uns gemeinsam eingeredet haben?

Vielleicht ist der Geist wichtiger, vielleicht ist der Geist, der aus der Vereinigung von einem Spermium und einem Ei entsteht, dieser Geist der nach unserem Tod aus dem Körper ins Unbekannte entflieht, das eigentlich Wichtige. Wie kann man seinen Geist erfolgreich nähren beziehungsweise düngen? Was ist ein lebenswertes Leben?

Um nicht vom eigentlichen Thema abzukommen, stelle ich die zwei entscheidenden Fragen:

Frage Nummer eins: wie kann ich richtig trauen?
Es gibt kein richtiges trauern. Mach dir ein für dich gutes und sinnvolles Leben, damit dein Leben aufgefüllt wird. Es staut sich einiges innerlich auf, nach dem Tod eines lieben Menschen. Gestalte deine Zeit mit Aktivitäten die dich entlasten, entladen und glücklich machen: kochen, backen, malen, tanzen, reden, laufen, wandern, joggen und nochmal laufen, Saunen, schwimmen etc. Auch wenn das anfänglich einfach auszusehen scheint vermeide den Alkoholmissbrauch, Glücksspielmissbrauch, Promiskuität, und andere negative Bewältigungsmechanismen. Auch wenn Männer grundsätzlich sich verschließen und mit dem Leben weitermachen möchten und Frauen sich mehr mit ihren Gefühlen auseinander setzen wollen, ist dies nicht immer so und beide Gruppen können eine Scheibe von der anderen abschneiden.

Wenn oder falls dein Lieber auf dich gucken kann, sollte dieser zufrieden mit einem Lächeln im Gesicht sein – weil du lebst und du hältst so seine Erinnerung hoch – in deinem Herzen oder wie auch immer du dich entschiedest dies zu tun.

Frage Nummer zwei: wie kann ich einen Trauernden unterstützen?
Es kann schwierig sein – es ist nicht so einfach, weil wir oft unsere eigenen Vorstellungen zu sehr einsetzen. Nicht dem Trauernden vermeiden, weil es peinlich oder komisch zu sein scheint!

Sei da. Sei einfach da! Wenn sie reden möchte, höre ihr zu, wenn sie einen Tee braucht, macht ihr bitte einen Tee. Wenn du eine Umarmung spenden kannst, tue es. Sag bitte nie es ist Zeit loszulassen. Denn man kann manchmal nie ganz loslassen auch wenn Erinnerungen verblassen und andere Freude und Trauer und so weiter sich einschleichen.

Traditionell werden 1-3 Tage für das Trauern gewährt, manchmal werden Wochen oder gar paar Monate für den Trauernden gewährt beziehungsweise wird nach ein paar Monaten einfach erwartet, dass der Trauernde wiederfunktioniert, dass der Verlust vollständig bewältigt wird – es gibt keine starren oder festen Vorgaben – unterstütze den Trauernden ohne Druck oder feste Erwartungen in seiner Geschwindigkeit zu wachsen.

Wichtig ist es nicht mit klugen Sprüche kommen: „Gott hat einen Plan“, „Er ist jetzt bestimmt im Himmel“, „Du brauchst sie hier aber Gott braucht sie mehr“, ‚ Er ist jetzt ein Engel in Himmel“! Und so weiter! ; nicht alle Menschen sind religiös, außerdem ist Gott denn so grausam einfach Menschen Leid beizubringen? werden wir alle wirklich Engel, wo steht das in der Bibel? Eins scheint ganz fest zu stehen: wir entstehen nicht aus dem Nichts, wahrscheinlich verschwinden wir nicht einfach ins Nichts und es scheint eine höhere Macht zu geben. Statt die eigene Überzeugung als die Wahrheit aufdrängen zu wollen, ist es mehr als ausreichend (mit oder ohne Geschenke, Blumen, Essen, Tee, usw.) vorbeizuschauen und nur physisch da sein. Auch wenn kein Wort gesprochen wird – dies ist nicht peinlich, denn um Mitgefühl und Unterstützung zu schenken, sind Wörter nicht notwendig.

Viele neue Freundschaften können entstehen, wenn man verständnisvolle Personen in diesen Phasen des Lebens kennenlernt – es gehen jedoch viele gute und gar langfristige Freundschaften und Beziehungen verloren – entweder nach Vermeidung oder nach der Erkenntnis, dass diese Freundschaften kaum Tiefe hatten. Keine Angst vor Veränderung und die Weiterentwicklung des Selbst.

Menschen werden durch den Tod nie gänzlich voneinander getrennt. Sie sind nicht wirklich weit weg, wenn sie einen Platz in unserem Herzen haben. Viele Jahrzehnte später bleibt die Erinnerung im Herzen lebendig aber sie tut nicht mehr weh, sondern schenkt Liebe, Kraft und Zuversicht…….

.in memoriam Jane Nforku
In diesem Sinne ein Hoch auf das Leben und den Tod!

Ihr Dr. Siewe